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Leitartikel

Das Problem mit der Inflation

David Villmann
David Villmann /

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Jahr ist wieder ein besonderes Jahr für die Beschäftigten im Schornsteinfegerhandwerk. Unser Bundestarifvertrag läuft nur noch bis zum Jahresende, denn fristgerecht zum 30. Juni werden wir die Kündigung bei unserem Sozialpartner einreichen und Forderungen für einen neuen Bundestarifvertrag übermitteln.

Bisher befinden wir uns in einem bundesweiten Diskussionsprozess über die Forderungen. Dafür besprechen wir mit unseren Mitgliedern die Probleme des Schornsteinfegerhandwerks und die Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Diese Informationen und Emotionen werden gesammelt und auf Bundesebene vorgetragen, um ein möglichst breites Meinungsbild einzuholen. Dabei sticht ein Punkt dieses Mal besonders hervor: die Inflationsrate. Doch reicht es aus, sein Forderungspaket auf Grundlage der aktuell eher hohen Inflationsrate aufzubauen?

Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zur Beurteilung der Inflation steht der sogenannte Verbraucherpreisindex. Der Index beruht auf einem Warenkorb, den ein „repräsentativer Bürger“ konsumiert. Ausgangspunkt für den Warenkorb des Basisjahres ist ein Schema, das 750 Güter zu zwölf Hauptgruppen zusammenfasst. Anders als gerne öffentlich dargestellt wird, sind demnach nicht nur Waren wie Lebensmittel oder Energiepreise enthalten. Vielmehr sind in dem imaginären Warenkorb alle Güter, die wir tatsächlich konsumieren. Dazu zählt beispielsweise ein neuer Fernseher, Möbelstücke, unser Jahresurlaub oder Dienstleistungen, die wir in Anspruch nehmen. Der Durchschnittspreis all dieser Produkte wird zusammengefasst und bildet damit den Verbraucherpreisindex. Den prozentualen Unterschied zwischen dem aktuellen Verbraucherpreisindex und dem aus dem Vorjahr nennen wir Inflationsrate. Diese lag im Januar 2022 bei 4,9 % und wird im Februar 2022 voraussichtlich bei 5,1 % liegen. Auf den ersten Blick ein eher hoher Anstieg unserer Lebenshaltungskosten. Auf den zweiten Blick ist es etwas komplizierter. Nachdem die weltweiten Einschränkungen durch die Corona-Pandemie unser Arbeitsleben völlig auf den Kopf gestellt haben, sank der weltweite Bedarf an Energie rasant. Aufgrund des hohen Angebots und der niedrigen Nachfrage sind die Energiepreise in den Keller gerutscht. Dieses Überangebot war nicht nur auf dem Energiemarkt zu verzeichnen, sondern auch in anderen Lebensbereichen. Zusätzlich wurde in Deutschland die Mehrwertsteuer gesenkt. Dadurch sank die Inflationsrate im Jahr 2020 deutlich und fiel im Dezember 2020 auf -0,3 % und wurde so zur Deflation. Genau zu diesem Zeitpunkt schlossen wir einen Tarifvertrag mit einer deutlichen Reallohnerhöhung von fast 3 % ab. Genau von diesem „niedrigen“ und verzerrten Preisniveau aus wird nun die Inflationsrate gemessen. Notenbanken und andere Einrichtungen, die Entscheidungen auf Grundlage der Inflationsrate treffen müssen, wissen, wie sehr die Inflationsrate temporär beeinflusst wird. Deshalb nutzen sie die sogenannte Kerninflationsrate. Dort werden besonders schwankungsanfällige Gütergruppen wie Heizöl, Kraftstoffe oder Nahrungsmittel herausgerechnet, um eine möglichst echte Preisentwicklung zu erhalten. Diese Kerninflation lag im Januar bei „nur“ 2,9 %. Ein Großteil davon ist auf die reine Mehrwertsteuerdifferenz zurückzuführen. Zuletzt wird die derzeitige Inflation zu hoch wahrgenommen. Man bezeichnet diese Inflation deshalb auch gerne als gefühlte Inflation. Der Grund dafür ist unter anderem die Prospect-Theorie. Sie geht davon aus, dass bei der Bewertung gleicher Preisabweichungen Verluste stärker negativ als die entsprechenden Gewinne positiv bewertet werden. Studien zeigen, dass dieser Wert häufig das Zweifache beträgt. Dieses Gefühl wird durch die Kaufhäufigkeit verstärkt. Je häufiger Menschen beim Kauf Preissteigerungen erfahren bzw. je leichter ihnen Beispiele einfallen, desto höher wird die Inflation eingeschätzt.

Aufgrund dieser vielen Zusammenhänge, die unser Sozialpartner natürlich auch kennt, ist es nicht ratsam, einfach mit dem Finger auf die derzeitige Inflationsrate zu zeigen und daraufhin einen höheren Lohn geltend machen zu wollen. Vielmehr sollten wir uns auf die derzeitige Situation im Schornsteinfegerhandwerk konzentrieren. Wir stehen vor einem enormen Transformationsprozess, der durch den aktuellen Krieg in Europa noch mal beschleunigt wird. Gleichzeitig müssen wir den anhaltenden Fachkräftemangel besiegen und viele weitere Herausforderungen meistern. Dafür braucht es im Schornsteinfegerhandwerk motivierte und engagierte Fachkräfte. Diese finden und binden wir nur mit einem zukunftsfähigen Tarifvertrag und einer ordentlichen Lohnerhöhung, die den Beschäftigten im Schornsteinfegerhandwerk zeigen: Ihr seid es wert!


Mit kollegialen Grüßen

David Villmann

Innovationszentrum Schornsteinfegerhandwerk

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