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Leitartikel

Lohnzahlung ist keine Einbahnstraße

Michael Tilch
Michael Tilch /

Liebe Kolleginnen und Kollegen,in kaum einem anderen Gewerk wird die Arbeitszeiterfassung mehr missachtet als in unserem. Wir Schornsteinfeger wehren uns vehement dagegen und sind scheinbar Weltmeister im Schlechtreden der Arbeitszeiterfassung.

Die Tarifrunde 2020 befasste sich mit dem Thema Arbeitszeitreduzierung, mit dem Recht auf flexible Arbeitszeit und einhergehend mit der Arbeitszeiterfassung. Dabei wurden diese Themen weit mehr diskutiert als die Lohnerhöhung, die alle so dringend haben wollten. Ist Work-Life-Balance für uns vielleicht doch wichtiger als das Geld? Mir ist es unbegreiflich, warum man sich gegen eine Arbeitszeiterfassung wehrt. Eine Erfassung der Arbeitszeit würde eine faire Grundlage für das Arbeitsverhältnis schaffen und es gäbe weit weniger Streitigkeiten in den Betrieben.

Umfragen, Gespräche und auch Arbeitsrechtsstreitigkeiten im Bereich Arbeitszeit zeigen uns, dass dieses Thema im Schornsteinfegerhandwerk sehr häufig zu Problemen führt. Arbeitnehmer/innen streiten oft über geleistete Überstunden. Die Arbeitgeberseite hingegen behauptet oft Gegenteiliges und sagt, viele der Beschäftigten würden ihre Arbeitszeiten nicht einhalten.
Wäre es da nicht toll, Licht ins Dunkel zu bringen und durch eine Arbeitszeiterfassung alle Ungereimtheiten zu klären? Keine Diskussionen mehr über zu viel oder zu wenig geleistete Arbeitszeit. Überstunden würden ausgezahlt und zu wenig geleistete Arbeitszeit würde aufgedeckt werden. Zu wenig geleistete Arbeitszeit muss zudem nicht gleich bedeuten, dass zu wenig gearbeitet wurde. Es kann auch bedeuten, dass nicht mehr Arbeit vorhanden ist. Warum kann man diese Erkenntnis nicht nutzen, um sich Gedanken über seine Auftragslage und die Positionierung des Betriebes am Markt zu machen? Dass die Kehr- und Messarbeiten sukzessive weniger werden, ist nun wohl in allen Köpfen angekommen. Dass man deswegen, wenn man die Firma am Leben halten möchte, etwas machen muss, ist die logische Schlussfolgerung daraus. Wir sind Dienstleister und könnten so viel mehr anbieten, wenn wir es wollen. Bereiche wie Energieberatung, Brandschutz, Lüftungen, Schimmelberatungen, Baubegleitungen und so weiter sind Arbeitsfelder, die wir für uns nutzbar machen müssen. Denn wenn wir das nicht tun, wird jemand anderes diese Tätigkeitsfelder übernehmen und uns den Rang ablaufen.

Durch eine gute Arbeitszeiterfassung würde man auch weg von der Preisschätzung kommen. Ich behaupte, dass immer noch viele Kollegen den Preis ihrer Arbeiten aus einer Laune heraus festlegen und nicht nach Aufwand, Zeit und Kosten berechnen. Das ist ein großer Fehler und nicht mehr zeitgerecht. Wenn man aber dokumentiert, wie lange jemand für etwas genau arbeitet, kann man auch den Preis entsprechend kalkulieren. Dies zu dokumentieren, ist im Übrigen kein wirklicher Aufwand.
Wir befinden uns mitten im Wandel unseres Handwerks und alle, die behaupten, das sei nicht so, verschließen ihre Augen vor der Realität. Es gibt Dinge, die unausweichlich und nicht zu beeinflussen sind und unser Privatleben wie auch das Berufsleben beeinflussen. Ein Beispiel dafür ist das Internet. Damals fanden das viele suspekt und verschlossen sich davor. Heute ist es in unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Genauso ist es mit den sozialen Medien, der Änderung unserer Berufsfelder und auch einer Arbeitszeiterfassung. All dies wird uns in Zukunft beeinflussen und unseren Arbeitsalltag verändern. Werbung in den sozialen Medien ist heute schon normal, leicht zu bedienen, bietet unendliche Möglichkeiten und hat eine enorme Reichweite.
Auch die Arbeitszeiterfassung wird kommen, ob wir das wollen oder nicht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2019 zur Arbeitszeiterfassung führt unweigerlich dazu. Wann genau die nationale Umsetzung erfolgt, weiß man nicht genau. Aber sie wird kommen und wir haben als Schornsteinfegerhandwerk nicht die Chance, uns davor zu verschließen. Auch brauchen wir uns nicht davor zu fürchten.

Am Anfang schrieb ich über Fairness. Was damit gemeint ist, ist einfach: Fair ist, wenn man einen Arbeitsvertrag mit seinem/seiner Arbeitgeber/in hat, dass man auch die Pflicht hat, die Arbeitszeit einzuhalten. Und dann, aber auch nur dann, hat der/die Arbeitgeber/in die Pflicht, den vollen Lohn zu zahlen. Man kann als Arbeitnehmer/in nicht immer nur auf seine Rechte pochen und diese auch durchsetzen wollen. Man hat auch Pflichten, und nur wer diese ebenfalls einhält, hat das Recht, seine Leistungen voll umfänglich zu erhalten.
Das ist ein faires Miteinander. Wo kämen wir hin, wenn wir das nicht schaffen zu realisieren?

Euer
Michael Tilch
Regionalsekretär West

 

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